Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken anlässlich der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages am 5. November 2018

· Stellungnahmen · Erziehung, Bildung und Betreuung

zu dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 12. Oktober 2018)

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Einleitung

Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung vorgelegt. Durch das Gesetz sollen Qualitätsverbesserungen in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege erreicht und „gleichwertige qualitative Standards“ in den Bundesländern angestrebt werden (§ 1 Absatz 3 KiQuTG). Zu diesem Zweck stellt der Bund den Ländern über Festbeträge bei der Umsatzsteuerverteilung finanzielle Mittel zur Verfügung. Im Jahr 2019 erhalten die Länder 493 Millionen Euro. 2020 erhalten sie 993 Millionen Euro, in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 1,993 Milliarden Euro.

Die Länder können aus einem Maßnahmenkatalog („Instrumentenkasten“) diejenigen Maßnahmen auswählen, die sie zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung für erforderlich halten. Als Maßnahmen „von vorrangiger Bedeutung“ bezeichnet der Entwurf u.a. Maßnahmen zum Abbau von Hürden zur Inanspruchnahme, zur Ermöglichung einer inklusiven Förderung aller Kinder, zur bedarfsgerechten Ausweitung von Öffnungszeiten, zur Sicherstellung eines guten Fachkraft-Kind-Schlüssels, zur Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte und zur Stärkung der Leitungen der Kindertageseinrichtungen. Die Länder erhalten die Bundesmittel erst dann, wenn alle Länder mit dem Bund Verträge abgeschlossen haben, die das Handlungs- und Finanzierungskonzept des jeweiligen Landes enthalten und als Grundlage für Monitoring und Evaluation dienen sollen. Der Entwurf sieht auch eine verbindliche Staffelung der Elternbeiträge für die Inanspruchnahme von Angeboten der Kindertagesbetreuung vor (§ 90 Absatz 3, Absatz 4 SGB VIII-E).Der Familienbund der Katholiken begrüßt das Ziel des Entwurfs, die Qualität in der Kindertagesbetreuung zu verbessern. Er sieht in diesem Bereich einen großen Investitionsbedarf und hat wiederholt kritisiert, dass beim bisherigen Ausbau der Kindertagesbetreuung nur die Quantität im Vordergrund stand, während die Verbesserung der Qualität vernachlässigt wurde. Dem Familienbund ist wichtig, dass notwendige Quantitäts- und Qualitätsinvestitionen nicht gegeneinander ausgespielt werden und zu Lasten der jeweils anderen gehen. Daher müssen für beide Zwecke ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Familienbund fordert seit vielen Jahren ein Kitaqualitätsgesetz, das einen hohen Bundeszuschuss für die Verbesserung der Kitaqualität vorsieht, insbesondere die erforderlichen Verbesserungen beim Fachkraft-Kind-Schlüssel herbeiführt und bundesweit einheitliche Mindeststandards regelt1. Der vorgelegte Entwurf entspricht diesen Forderungen nur teilweise.

 

Zusammenfassung

Der Familienbund der Katholiken begrüßt, dass die vom Bund in Aussicht gestellten Mittel in Höhe von rund 5,5 Milliarden Euro um zwei Milliarden Euro über dem Betrag liegen, den CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 vereinbart haben, wenn auch der Investitionsbedarf im Bereich der Qualitätsentwicklung deutlich größer ist und auf rund 8 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt wird (siehe III.). Der Familienbund hält Investitionen in eine hohe Betreuungsqualität und eine einkommensabhängige Staffelung der Elternbeiträge für vorrangig gegenüber einer generellen Beitragsfreiheit für alle Familien, die nicht durch den vorliegenden Gesetzentwurf, sondern langfristig angestrebt werden sollte (siehe IV.). Bei den Qualitätsmaßnahmen sollte die Priorität auf Investitionen in qualifiziertes Personal gelegt werden (siehe V.). Da der Fachkraft-Kind-Schlüssel von zentraler Bedeutung ist, sollten jedenfalls in diesem Bereich bundesweit einheitliche und wissenschaftlich fundierte Mindeststandards definiert werden. Die bundesweit verpflichtende Staffelung der Beiträge für die Kindertagesbetreuung sollte unbedingt beibehalten werden (siehe VI.). Bei einer Regelung von verbindlichen Mindeststandards wäre auch die vorgeschlagene Finanzierung über die Änderung der Umsatzsteuerverteilung unproblematisch, da in diesem Fall bereits das Gesetz die zielgenaue Mittelverwendung sicherstellen würde. Ansonsten sollte eine Finanzierung über ein Sondervermögen (nach dem Vorbild des quantitativen Kitaausbaus) erwogen werden, die allerdings verfassungsrechtliche Risiken birgt (siehe VII.)

 

     Mehr Bundesmittel als im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 vereinbart – wesentlich weniger als für die Qualitätsentwicklung erforderlich

Der Familienbund begrüßt, dass der Bund die Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung durch ein Qualitätsgesetz finanziell unterstützen will, das Investitionen in den bislang im Vordergrund stehenden quantitativen Ausbau ausklammert2. Der Gesamtbetrag in Höhe von 5,47 Milliarden Euro, der bis einschließlich 2022 zur Verfügung gestellt werden soll, hat einen substantiellen Umfang. Mit dieser Summe lassen sich grundsätzlich Qualitätsverbesserungen in der Kindertagesbetreuung erreichen. Ausdrücklich zu begrüßen ist, dass der Betrag über die im Koalitionsvertrag vereinbarte Summe von 3,5 Milliarden Euro3 hinausgeht. Der Koalitionsvertrag hatte nur Investitionen bis einschließlich 2021 vorgesehen (Ende der Legislaturperiode). Die knapp 2 Milliarden Euro für das Jahr 2022 gehen also über die aus dem Koalitionsvertrag folgende Verpflichtung hinaus.

Um die Größenordnung der Investitionslücke zu verdeutlichen, darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass die vom Bund in Aussicht gestellten Mittel wesentlich unter dem für die Qualitätsentwicklung zu veranschlagenden Mittelbedarf liegen. So besteht allein für die Herstellung einer angemessenen Fachkraft-Kind-Relation ein jährlicher finanzieller Mehrbedarf in Höhe von rund 5 Milliarden Euro4. Insgesamt werden die jährlichen Kosten für den Qualitätsausbau derzeit auf 8 Milliarden Euro geschätzt5. Unabhängig vom jetzt vorgelegten Entwurf spricht sich der Familienbund angesichts des großen Investitionsbedarfs für eine dauerhafte Beteiligung des Bundes am qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung aus. Die für die Jahre 2021 und 2022 vorgesehene Summe von knapp 2 Milliarden Euro kann hierfür als jährlicher Mindestbetrag angesehen werden. Erforderlich wäre aber grundsätzlich eine deutlich höhere Bundesbeteiligung. Wichtig ist jedoch in jedem Fall, dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel auch zielgenau eingesetzt werden, so dass sie die Qualität tatsächlich wesentlich erhöhen.

 

     Qualitätsverbesserungen sollten gegenüber einer generellen Gebührenfreiheit für alle Eltern vorrangig sein

Der Familienbund hat Bedenken, ob der Entwurf in der vorgelegten Form ausreichend dazu beiträgt, dass sich die Qualität in der Kindertagesbetreuung verbessert. Dies hat den Grund, dass der Maßnahmenkatalog (§ 2 KiQuTG), aus dem die Länder auswählen können, auch Maßnahmen enthält, die nichts mit der Qualität der Kindertagesbetreuung zu tun haben. So führt der Entwurf auch „den Abbau von Hürden zur Inanspruchnahme“ auf. Der Referentenentwurf führte als Hauptbeispiel für einen solchen „Abbau von Hürden der Inanspruchnahme“ noch ausdrücklich Beitragsreduzierungen für Eltern auf. Obwohl der Regierungsentwurf nun im Gesetzestext auf die Nennung eines Beispiels verzichtet, sind Beitragsreduzierungen vom Wortlaut weiterhin erfasst und mithin auch Maßnahmen „von vorrangiger Bedeutung“ im Sinne des § 2 Satz 3 KiQuTG.

Die Kosten der Kindertagesbetreuung und deren Qualität sind jedoch unterschiedliche Kategorien. Wenn aufgrund hoher Gebühren Familien mit kleinen Einkommen ausgeschlossen werden, ist das schlecht – die Qualität der Betreuung in der Einrichtung bleibt davon aber unberührt. Zum anderen ist evident, dass eine kostengünstige Kindertagesbetreuung nicht schon allein aufgrund der geringen Kosten eine qualitativ hochwertige Kindertagesbetreuung ist. Vielmehr werden Kosten und Qualität häufig in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinanderstehen.

Der Familienbund unterstützt grundsätzlich sowohl das Ziel der Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung als auch das Ziel der generellen Beitragsfreiheit für alle Familien. Er ist allerdings – gemeinsam mit vielen Expertinnen und Experten6 – der Überzeugung, dass sich diese beiden Ziele bei realistischer Betrachtung und mit Blick auf die begrenzten finanziellen Mittel nicht gleichzeitig erreichen lassen. Der Qualitätsausbau und die generelle Beitragsfreiheit kosten nach einer aktuellen Schätzung insgesamt jährlich 15,3 Milliarden Euro – also weit mehr als die maximal 1,993 Milliarden Euro, die jetzt vom Bund pro Jahr bereitgestellt werden sollen7. Wer fordert, dass Qualitätsverbesserungen und generelle Gebührenfreiheit nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, muss ausreichende finanzielle Mittel für beide Ziele zur Verfügung stellen. Ist dies – wie hier – nicht der Fall, geht das eine zu Lasten des anderen, so dass sich die Notwendigkeit einer Prioritätensetzung ergibt.

Bei der Frage der Prioritätensetzung ist der Familienbund – ebenfalls in Übereinstimmung mit vielen anderen Verbänden und Fachleuten8 – der Auffassung, dass Qualitätsverbesserungen in der Kindertagesbetreuung derzeit aufgrund des großen Investitionsbedarfs Vorrang vor einer generellen Beitragsfreiheit für alle Familien haben sollten. Die generelle Beitragsfreiheit sollte langfristig angestrebt werden.

Neben den Qualitätsverbesserungen sollte momentan als zweites (nicht-qualitatives) Ziel die Entlastung einkommensschwächerer Familien bei den Kostenbeiträgen verfolgt werden. Hierfür bietet sich eine einkommensabhängige Staffelung der Elternbeiträge mit Beitragsfreiheit im unteren Einkommensbereich an. Das ist sozial gerechter als eine generelle Beitragsfreiheit, die in Anbetracht vielerorts bereits bestehender Kostenstaffelungen insbesondere besserverdienende Familien entlasten würde. In Anbetracht des bestehenden Investitionsbedarfs in der Kindertagesbetreuung kann gutverdienenden Eltern – nach Abwägung aller Interessen – derzeit ein angemessener Kostenbeitrag zugemutet werden. Nach Auffassung des Familienbundes sind die meisten Eltern bereit, für eine gute Qualität auch einen angemessenen Beitrag zu zahlen – solange dieser sie finanziell nicht überfordert. Das ergibt sich auch aus aktuellen Studien9. Dass der Gesetzentwurf eine verbindliche Kostenstaffelung vorsieht (vgl. § 90 SGB VIII-E) begrüßt der Familienbund daher ausdrücklich. Im Maßnahmenkatalog (§ 2 Nr. 1 KiQuTG) sollten aber Investitionen in eine generelle Kostenfreiheit nicht enthalten sein, sondern nur solche in eine sozialverträgliche Staffelung von Elternbeiträgen.

Es erscheint auch aus verfassungsrechtlichen Gründen problematisch, dass der Regierungsentwurf neben Qualitätsmaßnahmen Investitionen in eine generelle Beitragsfreiheit für alle Familien umfasst und diesen – als Maßnahmen zum „Abbau von Hürden zur Inanspruchnahme“ (§ 2 Nr. 1 KiQuTG) – sogar vorrangige Bedeutung beimisst.

Denn der Bund hat im Bereich der Kindertagesbetreuung (öffentliche Fürsorge gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) die Gesetzgebungskompetenz nur, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“ (Artikel 72 Absatz 2 GG). Ansonsten sind die Länder zuständig (Artikel 70 GG). Das Gesetz muss in jedem Fall geeignet sein, zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet beizutragen.  Wenn hingegen ein Bundesgesetz im Bereich der Kindertagesbetreuung absehbar dazu beiträgt, dass bestehende Unterschiede verstärkt und die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ungleichwertiger werden, ist es wegen fehlender Zuständigkeit des Bundes verfassungswidrig.

Die derzeitige Konzeption des Gesetzes führt angesichts unterschiedlicher politischer Vorstellungen der Landesregierungen absehbar dazu, dass einige Länder die Mittel für die Erreichung des Ziels genereller Beitragsfreiheit einsetzen werden, während andere Länder die Mittel für die Verbesserung der Betreuungsqualität verwenden werden. Diejenigen, die bisher schon auf Beitragsreduzierungen gesetzt haben, werden diesen Weg fortsetzen. Diejenigen, die in der Vergangenheit Qualitätsmaßnahmen für prioritär gehalten haben, werden voraussichtlich ebenfalls bei dieser Strategie bleiben. Die Bundesländer verfolgen ganz unterschiedliche Ziele. So hat sich aktuell Berlin als erstes Bundesland – trotz ohnehin bereits relativ niedriger Elternbeiträge – für eine generelle Beitragsfreiheit ab August 2018 entschieden, obwohl in Berlin doppelt so viele ein- bis dreijährige Kinder von einer Fachkraft betreut werden wie beispielsweise in Baden-Württemberg, das die Priorität auf einen angemessenen Fachkraft-Kind-Schlüssel legt und im Gegenzug deutlich höhere Elternbeiträge verlangt.  Bei einer solchen Entwicklung kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass die qualitativen Standards und Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gleichwertiger werden. Vielmehr werden sich bereits bestehende Unterschiede zwischen den Bundesländern weiter vergrößern. Der Entwurf sollte bei solchen gegenläufigen Entwicklungen gegensteuern und diese nicht verstärken. Dass die Bundesmittel zur Verwirklichung des Ziels der generellen Kostenfreiheit verwendet werden, sollte daher auch im Interesse einer weiteren Angleichung der qualitativen Standards und Lebensverhältnisse ausgeschlossen sein. Investitionen in eine bereits vielerorts bereits eingeführte Beitragsstaffelung tragen hingegen zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet bei, wirken einer Beeinträchtigung des bundesstaatlichen Sozialgefüges10 entgegen und sind verfassungsrechtlich unproblematisch.

 

Formulierungsvorschlag:

Dem § 2 Satz 2 KiQuTG sollte ein „nicht“ vorangestellt werden: „Nicht förderfähig sind Maßnahmen zur Entlastung der Eltern bei den Gebühren, die über die in § 90 Absatz 3 und 4 des Achten Buches Sozialgesetzbuch … geregelten Maßnahmen [= Kostenstaffelung] hinausgehen “. Hilfsweise - falls die soeben genannte Formulierung nicht gewollt ist – sollte § 2 Satz 2 KitQuTG als Nr. 11 des Maßnahmenkatalogs geregelt werden, um klarzustellen, dass es sich bei über eine Kostenstaffelung hinausgehenden Beitragsreduzierungen nicht um Maßnahmen „von vorrangiger Bedeutung“ handelt.

 

     Investitionen in qualifizierte Fachkräfte sollten Priorität haben

Es wäre zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber den Mut hätte, ausschließlich Maßnahmen zur Verbesserung des Fachkraft-Kind-Schlüssels und zur Gewinnung (und Sicherung) qualifizierter Fachkräfte als Maßnahmen „von vorrangiger Bedeutung“ anzusehen. Jedenfalls sollten – wie noch im Referentenentwurf vorgesehen – nur die Maßnahmen in § 2 Nr. 1 bis Nr. 3 KiQuTG als vorrangige Maßnahmen bezeichnet werden. Die in § 2 Nr. 4 KiQuTG geregelte Stärkung der Leitungen der Tageseinrichtungen kann nicht als Maßnahme von gleicher Wichtigkeit angesehen werden.

Der Maßnahmenkatalog des § 2 KiQuTG sollte überprüft werden. Insbesondere sollten die sehr weit formulierten Nummern § 2 Nr. 6 und § 2 Nr. 10 KiQuTG konkretisiert werden. Unter „Maßnahmen und ganzheitliche Bildung in den Bereichen kindliche Entwicklung, Gesundheit, Ernährung und Bewegung“ (Nr. 6) oder „inhaltliche Herausforderungen in der Kindertagesbetreuung bewältigen“ (Nr. 10) kann ein sehr weites Spektrum an Maßnahmen verstanden werden. Das vorliegende Gesetz kann mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht alle Aspekte der Betreuungsqualität behandeln. Wenn die Bundesmittel ohne klare Zielrichtung fließen, droht die Wirkung des Gesetzes zu verpuffen.

Dass der Bund im Bereich der Kindertagesbetreuung die Gesetzgebungskompetenz nur hat, „soweit [!] die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet …im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“ (Artikel 72 Absatz 2 GG), spricht ebenfalls dafür, im Maßnahmenkatalog stärkere Prioritäten auf die zentralen Qualitätsbereiche zu legen. Jede einzelne Nummer des § 2 KiQuTG muss die kompetenzrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes erfüllen.

 

    Bundesweit einheitliche Mindeststandards jedenfalls beim Fachkraft-Kind-Schlüssel

Der Familienbund fordert gemeinsam mit einer großen Zahl anderer Verbände verbindliche, bundesweit einheitliche und wissenschaftlich fundierte Mindeststandards für die Qualität in der Kindertagesbetreuung11. Solche Mindeststandards regelt der Entwurf nicht. Stattdessen können die Länder mit den vom Bund zur Verfügung gestellten Mitteln eigene Schwerpunkte zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung setzen. Der Entwurf strebt zumindest „gleichwertige qualitative Standards“ an (vgl. § 1 Absatz 3 KiQuTG).

In einem für die Qualität in der Kindertagesbetreuung besonders zentralen Bereich, nämlich beim Fachkraft-Kind-Schlüssel, sollte jedoch eine verbindliche Regelung getroffen werden, um dem Gesetz eine klare Zielrichtung zu geben. Dem Familienbund erscheint ein Fachkraft-Kind-Schlüssel von 1 zu 4 für Kinder von ein bis drei Jahren und von 1 zu 9 für Kinder von drei Jahren bis zum Schuleintritt sachgerecht und wissenschaftlich begründbar.  Der Fachkraft-Kind-Schlüssel stellt auf die tatsächlich für die Kinder verfügbaren Fachkräfte ab und ist insofern ein besseres Kriterium als der Personalschlüssel, der die vertraglichen Arbeits- und Betreuungszeiten ins Verhältnis setzt und nicht berücksichtigt, dass ein/e Erzieher/in nicht seine gesamte Arbeitszeit den Kindern widmen kann, sondern Zeit für Teamgespräche, Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit, Fortbildungen und Urlaub benötigt. Geht man davon aus, das ein/e Erzieher/in höchstens 75 % der Arbeitszeit für die pädagogische Arbeit nutzen kann, ergibt sich rechnerisch für Kinder unter drei Jahren ein Personalschlüssel von 1 zu 3 und für Kinder über drei Jahren ein Personalschlüssel von 1 zu 7.

Für verbindliche Mindeststandards sprechen auch verfassungsrechtliche Erwägungen. Wenn der Entwurf – wie verfassungsrechtlich erforderlich – zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bereich der Kindertagesbetreuung beitragen soll, sind klare Zielsetzungen in Form von Mindeststandards unerlässlich. Die Länder sollten die Bundesmittel dazu verwenden, sich solchen Mindeststandards anzunähern, um diese – nach Ablauf einer angemessenen Übergangsfrist – zu erreichen. Wenn ohne Zielsetzung investiert wird, ist eine Annäherung der Lebensverhältnisse wenig mehr als Zufall.

Der Bund kann aus verfassungsrechtlichen Gründen solche Mindeststandards nicht in allen für die Qualität der Kindertagesbetreuung relevanten Bereichen regeln, wohl aber in einigen grundlegenden Bereichen, in denen „sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet“12. Eine solche Auseinanderentwicklung ist insbesondere im Bereich des Fachkraft-Kind-Schlüssels festzustellen: Während eine Vollzeitkraft in Baden-Württemberg im Schnitt 3 Kinder unter 3 Jahren betreut (Personalschlüssel von 1 zu 3,1), ist eine solche in Berlin (1 zu 5,9), Brandenburg (1 zu 5,8), Mecklenburg-Vorpommern (1 zu 6,0), Sachsen (1 zu 6,4) und Sachsen-Anhalt (1 zu 5,8) für doppelt so viele Kleinkinder verantwortlich.13 Gerade weil der Fachkraft-Kind-Schlüssel eine zentrale Voraussetzung für alle Formen der (früh)kindlichen Bildung und individuellen Förderung ist, sind die Unterschiede auch „erheblich“ und beeinträchtigen das bundesstaatliche Sozialgefüge, so dass der Bundesgesetzgeber tätig werden kann.

Im Bereich der Elternbeiträge setzt der Gesetzentwurf Mindeststandards durch die vorgesehene bundesweit verpflichtende Staffelung der Beiträge für die Kindertagesbetreuung (§ 90 Abs. 3, 4 SGB VIII). Diese verpflichtende Staffelung sollten unbedingt beibehalten werden.

Eine weitergehende Regelung bundeseinheitlicher Mindeststandards sollte zumindest als Fernziel in den Entwurf aufgenommen werden. Der Familienbund schlägt vor, § 1 Absatz 3 KiQuTG durch folgenden Satz 2 zu ergänzen: „Hierdurch soll eine Ausgangssituation erreicht werden, die die bundesgesetzliche Regelung von Qualitätskriterien ermöglicht“.14

 

     Finanzierung über die Umsatzsteuerverteilung

            Geringe Steuerungsmöglichkeiten des Bundes – großer Verwaltungsaufwand

Bei der vorgeschlagenen Finanzierung der Qualitätsinvestitionen über eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung (Artikel 3 und Artikel 4 des Entwurfs) hat der Bund kaum Möglichkeiten, die zweckmäßig Mittelverwendung zu steuern. Dass die Änderung der Umsatzsteuerverteilung erst in Kraft treten soll, wenn alle Länder mit dem Bund Verträge über ihr jeweiliges Handlungs- und Finanzierungskonzept abgeschlossen haben (Artikel 5 Absatz 3, Absatz 4 des Entwurfs), erscheint dem Familienbund als zu unflexibel. Wenn die Bundesregierung sich mit einem oder mehreren Ländern nicht einigen kann, weil sie das jeweilige Handlungskonzept für unzweckmäßig hält, steht sie vor zwei ungünstigen Alternativen: Sie kann entweder das (bzw. die) unzweckmäßige(n) Handlungskonzept(e) akzeptieren oder den gesamten Prozess der Qualitätsentwicklung blockieren. Auch eine Rückforderung der Bundesmittel ist im Fall der zweckwidrigen Verwendung nicht möglich.

Der Gesetzentwurf versucht, dem Bund durch ein aufwendiges Verfahren – bestehend aus Vertragsabschlüssen mit den Ländern (§ 4 KiQuTG), Unterstützung der Länder durch eine Geschäftsstelle beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (§ 5 KiQuTG) sowie Monitoring und Evaluation (§ 6 KiQuTG) – Einflussmöglichkeiten auf die Investitionen der Länder zu eröffnen. Die gewonnenen Einflussmöglichkeiten werden aber voraussichtlich trotzdem beschränkt bleiben, so dass viel Aufwand für einen eher geringen Effekt betrieben wird. Es sollte daher erwogen werden, ob es einen anderen verfassungskonformen Weg der Finanzierung gibt, der bessere Steuerungsmöglichkeiten des Bundes und individuelle Konfliktlösungen mit den Ländern ermöglicht, beispielsweise die Errichtung eines Sondervermögens „Kita-Qualitätsentwicklung“.

 

             Alternativer Finanzierungsweg: Errichtung eines Sondervermögens

Durch die Errichtung eines Sondervermögens könnten die Länder in die Pflicht genommen werden, neben den Bundesmitteln auch zusätzliche eigene Mittel für die Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung zu verwenden. Bei den Investitionsprogrammen zum quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung (2008 - 2020) war die vom Bund gewährte Summe jeweils nur Teil einer Gemeinschaftsfinanzierung von Bund und Ländern. So sieht das aktuelle „Investitionsprogramm Kinderbetreuungsfinanzierung 2017 – 2020“ vor, dass der Bund höchstens 54 Prozent der investiven Gesamtkosten tragen soll (§ 21 Absatz 2 Nr. 1 KitaFinHG). Die tatsächlich für Investitionen zur Verfügung stehende Summe ist in diesem Fall also fast doppelt so hoch wie der Bundeszuschuss. Eine entsprechende Regelung wäre auch beim vorliegenden Gesetzentwurf wünschenswert. Die daraus folgende Erhöhung der für Qualitätsinvestitionen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel wäre angesichts des großen Investitionsbedarfs auch erforderlich und angemessen.

Über eine solche stärkere Beteiligung der Länder ließe sich auch der Gefahr vorbeugen, dass die Bundesmittel an die Stelle von Landesmitteln treten, die bereits für die Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung eingeplant wurden. Wenn Bundesmittel nicht als zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen, sondern lediglich Landesmittel ersetzen, verbessert sich der Status quo nicht und die Qualitätsentwicklung schreitet nicht im erhofften Maße voran.

Die Möglichkeit der Errichtung eines Sondervermögens setzt das Grundgesetz in Art. 110 Abs. 1 GG voraus. Die Finanzierung von Qualitätsinvestitionen in den Ländern aus dem Sondervermögen könnte gem. Art. 104b Absatz 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 GG möglich sein. Diese Vorschrift gestattet dem Bund, den Ländern im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz „Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden [zu] gewähren, die zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind“. Dieser Wortlaut soll insbesondere Infrastrukturmaßnahmen erfassen, soweit diese Voraussetzung für das Wirtschaftswachstum sind.15 Ein unmittelbarer Effekt auf das Wirtschaftswachstum ist nicht erforderlich, vielmehr reicht eine mittelbare Wirkung aus.16 Eine solche mittelbare Förderung des Wirtschaftswachstums besteht bei Investitionen in die Qualität der Kindertagesbetreuung, da diese Infrastrukturmaßnahmen eine starke Wirkung auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben. Da gem. Art. 104b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG nur „besonders bedeutsame Investitionen“ gefördert werden können, sollte sich der Gesetzgeber bei diesem Finanzierungsweg in jedem Fall auf Maßnahmen konzentrieren, die für die Verbesserung der Betreuungsqualität besonders wichtig bzw. grundlegend sind.

Die verfassungsrechtlichen Unsicherheiten dieses Finanzierungswegs sollen jedoch nicht verschwiegen werden. Art. 104b Abs. 1 Satz Nr. 3 GG ist nach herrschender Meinung einschränkend zu interpretieren. Er soll „nicht der Förderung von Investitionen auf potentiell allen Gebieten dienen“. Vorausgesetzt wird unter anderem ein „enger Bezug zur Wirtschaftsförderung“.17 Darüber ob dieser enge Bezug bei einem familienpolitischen Gesetzesvorhaben zur Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung in ausreichendem Maße gegeben ist, kann man streiten.

 

            Vorschlag: Finanzierung über die Umsatzsteuerverteilung bei gleichzeitiger Regelung verbindlicher Mindeststandards

Wenn der Gesetzgeber sich entschlösse, beim Fachkraft-Kind-Schlüssel und in weiteren grundlegenden Qualitätsbereichen verbindliche Mindeststandards zu regeln, wäre die vorgeschlagene Finanzierung über eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung unproblematisch. Eine Steuerung der Mittelverwendung wäre nicht mehr erforderlich, da in diesem Fall das Gesetz selbst verbindliche und auf ein Ziel hin orientierte Vorgaben machen würde. Der große Vorteil wäre, dass der Bund auch auf die Vertragsabschlüsse mit den Ländern (§ 4 KiQuTG), die Geschäftsstelle des Bundes (§ 5 KiQuTG) sowie auf das Monitoring und die Evaluation (§ 6 KiQuTG) verzichten könnte. Die eingesparten Verwaltungskosten könnten der Qualität in der Kindertagesbetreuung direkt zugutekommen.

 

Berlin, 30. Oktober 2018

Familienbund der Katholiken
Ansprechpartner: Matthias Dantlgraber
 

1Vgl. Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken anlässlich der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages am 27. März 2017 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Thema "quantitativer und qualitativer Ausbau der Kindertagesbetreuung", S. 8 f.

2Für den weiteren quantitativen Ausbau gibt es bereits das „Vierte Investitionsprogramm Kinderbetreuungsfinanzierung 2017 – 2020“.

3Vgl. Koalitionsvertrag vom 12. März 2018, Z. 740 f.

4Bertelsmann Stiftung, Qualitätsausbau in Kitas (2014), S. 4.

6Vgl. z.B. schriftliche Stellungnahmen und Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages am 27. März 2017 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Thema "quantitativer und qualitativer Ausbau der Kindertagesbetreuung"; Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF), Positionspapier Handlungsfelder für eine hohe Qualität der Bildung, Betreuung und Erziehung in Kitas, S. 3.

7Vgl. Bertelsmann Stiftung (2018): „Mehr Kita-Qualität und Beitragsfreiheit kosten jährlich 15 Milliarden Euro“ (8 Milliarden Euro Qualitätsausbau, 7,3 Milliarden Euro Beitragsfreiheit), vgl. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2018/mai/mehr-kita-qualitaet-und-beitragsfreiheit-kosten-jaehrlich-15-milliarden-euro/.

8Vgl. Fn. 8 und Fn. 9.

9Eine Mehrheit der Eltern würde sogar höhere Beiträge als bisher akzeptieren: „59 Prozent der Eltern oberhalb, aber auch 53 Prozent der Eltern unterhalb der Armutsrisikogrenze würden für mehr Personal und bessere Ausstattung auch höhere Beiträge akzeptieren“, vgl. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2018/mai/mehr-kita-qualitaet-und-beitragsfreiheit-kosten-jaehrlich-15-milliarden-euro/. Dass Eltern mit höheren Einkommen eher dazu bereit sind, höhere Beiträge als bisher zu zahlen, ergaben auch die Analysen von Camehl/Stahl/Schober/Spieß in: DIW Wochenbericht Nr. 46.2015, Höhere Qualität und geringere Kosten von Kindertageseinrichtungen – zufriedenere Eltern?, S. 1112.

10Das BVerfG verlangt im Rahmen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Zuständigkeit des Bundes, dass „sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet“, vgl. Urteil des Ersten Senats vom 21. Juli 2015, Az. 1 BvF 2/13, Rn. 35.

11Vgl. Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF), Gemeinsame Erklärung zu Kitaqualitätsstandards, https://www.ag-familie.de/home/kitastandards.html. Dieser Erklärung haben sich mittlerweile 33 Verbände, Gewerkschaften und Träger angeschlossen.

12So das BVerfG in Konkretisierung von Art. 72 Abs. 2 GG, vgl. Urteil des Ersten Senats vom 21. Juli 2015, Az. 1 BvF 2/13, Rn. 35.

13Statistisches Bundesamt (2017), Der Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen, Methodische Grundlagen und aktuelle Ergebnisse, S. 8.

14Vgl. Gesetzesbegründung, S. 28 unten.

15Henneke in: Schmidt-Bleibtreu, Kommentar zum Grundgesetz, 14. Auflage 2018, Art. 104b, Rn. 29.

16Henneke a.a.O.

17Henneke, a.a.O.