„Die Kirche muss sich nicht reinigen, sondern ändern“

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Berlin, den 8. April 2019 – Der Familienbund der Katholiken hat auf seiner 131. Bundesdelegiertenversammlung vom 5. bis 7. April 2019 in Würzburg einen eindringlichen Appell an die deutschen Bischöfe gerichtet. Darin fordert der Verband die verantwortlichen Geistlichen auf, die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche mit Nachdruck fortzusetzen und grundlegende Strukturreformen zur Prävention entschlossen anzugehen. Die weitreichende Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch sei stets die Voraussetzung für wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen, hieß es auf der Tagung des Familienbundes unter dem Titel „Sexueller Missbrauch in Kirche und Gesellschaft: Kinder und Eltern stärken“. Zu den Forderungen des „Würzburger Appells“ gehört auch eine konsequente Entschädigung der Opfer jenseits der heutigen Praxis einer pauschalen Anerkennung von erlittenem Leid. Familienbund-Präsident Ulrich Hoffmann ging in der Tagung auch auf den Synodalen Weg der Bischöfe ein: „Voraussetzung für ein konstruktives Gelingen des eingeschlagenen synodalen Wegs ist ein Dialog auf Augenhöhe und eine enge Zusammenarbeit mit den Laien.“ Im Rahmen der Tagung äußerten sich namhafte Experten zu sexuellem Missbrauch in Vorträgen und Diskussionen.    

Der Familienbund der Katholiken ruft in seiner Erklärung mit dem Titel „Würzburger Appell gegen sexuellen Missbrauch: Handeln!“ die Bischöfe zu nicht nachlassendem Engagement auf: „Wir fordern die deutschen Bischöfe auf, den eingeschlagenen Weg der Prävention konsequent weiterzugehen und fortzuentwickeln, damit sexueller Missbrauch aufhört. Zugleich müssen sie die Anstrengungen der Aufarbeitung verstärken und Strukturen beseitigen, die sexuellen Missbrauch begünstigen. Sie müssen das Leid der Betroffenen anerkennen, sie angemessen finanziell entschädigen und ihnen Genugtuung verschaffen. Es ist unser christlicher Auftrag, für Gerechtigkeit einzutreten.“

In dem an die Politik gerichteten Teil des Appells heißt es: „Wir fordern die Bundesregierung und die Landesregierungen auf, in allen gesellschaftlichen Bereichen die Anstrengungen der Aufarbeitung und der Prävention zu intensivieren und die unterschiedlichen Akteure in dieser Aufgabe zu unterstützen. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, Strukturen, die sexuellen Missbrauch begünstigen, zu beseitigen, den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und Familien zu stärken.“

Der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Missbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, führte in seinem Vortrag auf der Tagung aus, wie sich aus seiner Sicht die Aktivitäten der katholischen Kirche bei Prävention und Aufarbeitung zu sexuellen Missbrauch bewegen. „Nötig sind in den Bistümern mit externen Experten besetzte Aufarbeitungskommissionen, die unter anderem die Frage der Anerkennungs- bzw. Entschädigungszahlungen an Missbrauchsopfer auf eine individuelle und angemessene Weise neu regeln.“ Rörig appellierte an Kirche und Gesellschaft: „Den Kampf gegen sexuelle Gewalt gewinnt niemand allein! Wir können diesen schwierigen Kampf nur dann gewinnen, wenn wir das Thema aus der Tabuzone holen, alle Akteure eng zusammenarbeiten und wir alle Handlungsmöglichkeiten nutzen.“ Neben den Kirchen rief Rörig auch die Politik auf, ihre Anstrengungen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch zu verstärken: „Angesichts von ein bis zwei betroffenen Kindern in jeder Schulklasse, von denen wir rein statistisch ausgehen müssen, brauchen wir weitaus größere politische Anstrengungen als bisher. Notwendig sind zum Beispiel eine groß angelegte Sensibilisierungskampagne zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und eine Verankerung von Schutzkonzepten und Präventionskursen in allen Schulen oder auch eine Pflicht zur Meldung und Löschung von Missbrauchsdarstellungen im Internet.“

Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenenvereinigung Eckiger Tisch, forderte eine Null-Toleranz-Haltung der katholischen Kirche gegenüber sexuellem Missbrauch. „Die Kirche hat sexuellen Missbrauch ermöglicht, begünstigt und gedeckt. Wesentlich dazu beigetragen hat eine Kultur der Heimlichkeit in der Kirche. Es hat sich seit 2010 viel getan.“ Leitend müsse auch weiter die Maxime sein: „Aufarbeitung ist die beste Prävention. Beides gehört untrennbar zusammen.“ Katsch forderte die Verankerung von Kinderrechten im Kirchenrecht und eine Anzeigepflicht von Vorgesetzten, die von sexuellem Missbrauch erfahren. „Es darf keinen Zweifel geben, dass die Kirche alles gegen sexuellen Missbrauch unternimmt. Andernfalls könnte sich der Staat – wie in Irland geschehen – bei der Erziehungs-, Bildungs- und Sozialarbeit von der Kirche abwenden.“ Katsch forderte ein Ende von Machtmissbrauch und unterdrückter Sexualität in der Kirche. Dabei dürfe die Kirche auch grundlegenden Reformen nicht ausweichen: „Es ist ein systemisches Risiko, wenn Frauen in einer Männerkultur nicht Priesterinnen werden dürfen.“ Die Sexualmoral der katholischen Kirche betrachtet Katsch als Teil der Täterstrategie. Die Konsequenz aus dem sexuellen Missbrauch könne nur lauten: „Die Kirche muss sich nicht reinigen, sondern ändern.“ Für die Opfer forderte er "Wahrheit und Gerechtigkeit". Dazu gehört für ihn auch eine "angemessene Entschädigung".

Holger Dörnemann, Privatdozent für Religionspädagogik und Katechetik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Sexualpädagoge und Leiter der Abteilung Familien und Generationen des Dezernats Kinder, Jugend und Familie des Bistums Limburg, stellte auf der Tagung des Familienbundes fest: „Die katholische Kirche ist in Sachen Prävention heute deutlich weiter als im Jahr 2010, als die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals seinen Anfang nahm. Und dennoch reicht das nicht. Hinzukommen muss auch die Sexuelle Bildung als ergänzender Bereich zur Präventionsarbeit.“ Auch Schulen müssten sich des Themas mehr als bisher annehmen und sind gefordert, Sexualkunde wenn möglich als Verbundunterricht oder es im Rahmen des Schulprogramms vorzusehen. Mit Blick auf das Lehramt der Kirche sagte Dörnemann: „Die Differenz zwischen den Formulierungen des Weltkatechismus aus dem Jahr 1992, der lehramtlichen Entwicklung seitdem, der gelebten Wirklichkeit der Gläubigen sowie dem Stand der Humanwissenschaften ist himmelschreiend.“ Er betonte: „Die Anerkennung und der Schutz der sexuellen Identität eines jeden Menschen ist fundamental und Grundlage jeder Prävention." Leitend für eine wirkungsvolle Präventionsarbeit müsse der Gedanke sein: „Wir können nur schützen, was wir schätzen.“ Die Sprachfähigkeit im Bereich der Sexualität sei die wirksamste Prävention überhaupt.

Harald Dreßing, forensischer Psychiater am Institut für Seelische Gesundheit in Mannheim und Koordinator der im September 2018 veröffentlichten Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz, lobte zwar: „Die Präventionsarbeit der Kirche ist gut. Begünstigende Strukturen gibt es aber nach wie vor.“ Zu den Ursachen von sexuellem Missbrauch auf Täterseite sagte er: „Nicht Homosexualität, sondern unreife Sexualität und Persönlichkeit sowie bei manchen auch eine pädophile Neigung führen zu Missbrauch durch Kleriker.“ Dreßing fordert die Einsetzung einer unabhängigen, interdisziplinär besetzten Kommission, an der auch Betroffene beteiligt sind, um innerkirchliche Netzwerke zu analysieren und persönliche Verantwortlichkeiten aufzuklären. Die Kirche sollte auch die begonnenen wissenschaftlichen Untersuchungen fortsetzen. Nötig sei aus Sicht des Experten ein klarer Zeitplan, geleitet von der Frage: „Was wollen wir bis wann erreicht haben?“ Dabei dürfe Prävention kein Feigenblatt sein. „Die Kirche hat zumindest bisher eher das System geschützt, entscheidend ist aber der Schutz der Opfer.“ Mit Blick auf das, was jetzt zu tun ist, sagte Dreßing: „Es geht nicht um das Versagen Einzelner, sondern um Strukturen innerhalb der Kirche.“

Die "Würzburger Erklärung" finden Sie hier auf der Website des Familienbundes der Katholiken.