Stellungnahme des Familienbundes der Katholiken - Alleinerziehende nicht allein lassen

Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
des Deutschen Bundestages am 20. Juni 2022

 

1. Einleitung

Am 05.04.2022 hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Antrag ‚Alleinerziehende in der aktuellen Inflation nicht allein lassen‘ gestellt. Dieser Antrag wurde am 06.05.2022 in erster Lesung im Bundestag beraten. Hintergrund des Antrags ist die stark gestiegene Inflationsrate, die gerade Familienhaushalte und insbesondere auch Alleinerziehende vor große wirtschaftliche Probleme stellt. Seit Jahresbeginn gibt es eine starke Preissteigerung, die im Mai zuletzt bei 7,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat lag.[1] Expertinnen und Experten zufolge ist davon auszugehen, dass die Inflation über einen längeren Zeitraum anhalten und auf einem ähnlich hohen Niveau verbleiben wird.[2] Hervorgerufen werden die Preissteigerungen überwiegend durch die wirtschaftlichen Pandemiefolgen sowie den Krieg in der Ukraine, aber auch durch Mitnahmeeffekte und Spekulation. Insbesondere Energiekosten und Lebensmittelpreise haben sich dadurch erheblich verteuert. Zieht man den Vormonat als Vergleichsgröße heran, sind die Preise in diesen Bereichen erneut um 38 bzw. 11 Prozent gestiegen.[3] Hinzu kommt die zusätzliche Belastung durch die seit Jahren steigenden Mieten und Immobilienpreise, vor allem in Ballungsräumen, unter denen Familien aufgrund ihrer Haushalts- und Einkommensstruktur sowie ihrer Wohnbedarfe besonders leiden.

Die gegenwärtige Situation trifft Alleinerziehende mit besonderer Härte. Beinahe die Hälfte aller Alleinerziehenden galt bereits vor der Inflation als einkommensarm und lebte mit ihren Kindern in prekären Verhältnissen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die meist angespannte wirtschaftliche Lage hängt jedoch überwiegend damit zusammen, dass viele Alleinerziehende die gesamte Verantwortung aus Kindererziehung und Erwerbsarbeit allein tragen und deshalb Abstriche bei ihrem Verdienst oder generell bei der Erwerbstätigkeit hinnehmen müssen. Ein weiterer wichtiger Grund sind ausbleibende bzw. nur unvollständige Unterhaltszahlungen.[4] Viele Alleinerziehende und deren Kinder sind daher auf die staatliche Ersatzleistung des Unterhaltsvorschusses angewiesen, der dieser Bedeutung bisher aber nur eingeschränkt gerecht wird, wie noch im Folgenden gezeigt wird.

Vor diesem Hintergrund schlägt die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Antrag vor, Alleinerziehende in mehrfacher Hinsicht zu entlasten. So soll die Anrechnung des Kindergeldes beim Unterhaltsvorschuss verändert, der Steuerentlastungsbetrag angehoben und gegebenenfalls in einen direkten Abzug von der Steuerschuld umgewandelt sowie ein Kinderbonus von einmalig 150 Euro gezahlt werden. Mit Blick auf die gestiegenen Wohnungskosten schlägt die CDU/CSU zusätzlich eine Anhebung des Freibetrags im Wohngeldgesetz für Alleinerziehende um 20 Prozent vor.

Die vorliegende Stellungnahme legt ihren Schwerpunkt auf die beiden erstgenannten Vorschläge. Dabei unterstützt der Familienbund ausdrücklich das Ziel einer hälftigen Anrechnung des Kindergeldes beim Unterhaltsvorschuss und zeigt sich grundsätzlich offen gegenüber einer zusätzlichen steuerlichen Entlastung von Alleinerziehenden, die aufgrund der geschilderten Einkommenssituation allerdings nur bei wenigen von ihnen ankommen dürfte. Beim Kinderbonus ist unklar, ob diese Maßnahme nur Alleinerziehenden zugutekommen soll. Als Leistung für alle Familien wäre ein solcher Bonus begrüßenswert, wenngleich der Familienbund davor warnt, eine stringente Familienpolitik durch Einmalleistungen zu ersetzen.

2. Zu den Vorschlägen im Einzelnen:

2.1 Nur das hälftige Kindergeld auf den Unterhaltsvorschuss anrechnen

Beim Unterhaltsvorschuss handelt es sich um eine Sozialleistung mit engem Bezug zum Unterhaltsrecht, aber auch zum Sozial- und Steuerrecht. Anspruch auf Unterhaltsvorschuss haben Kinder, die bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen und vom anderen Elternteil keinen oder nur teilweise oder nicht regelmäßig Unterhalt in Höhe des gesetzlichen Mindestunterhalts nach § 1612a Abs. 1 BGB erhalten. Dieser Mindestunterhalt bildet gleichzeitig den Maßstab für die Höhe des Unterhaltsvorschusses (§ 2 Abs. 1 UhVorschG). Da sich der Mindestunterhalt wiederum aus dem im Existenzminimumbericht der Bundesregierung festgehaltenen sächlichen Existenzminimum für Kinder ergibt und dieses direkt aus den sozialrechtlichen Regelbedarfen für Kinder ermittelt wird, deckt der Unterhaltsvorschuss aufgrund dieser Systematik ausschließlich die existenziellen Mindestbedarfe des Kindes ab. Darüber hinausgehende Unterhaltsansprüche des Kindes gegenüber dem anderen Elternteil bleiben unberücksichtigt.

Verschiedene Studien haben in der Vergangenheit bereits deutlich gemacht, wie groß die ökonomische Bedeutung des Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehenden-Haushalte ist. Demnach wird bei Trennung oder Scheidung nur in rund der Hälfte der Fälle regulärer Unterhalt für das Kind gezahlt. Selbst dort, wo Unterhalt gezahlt wird, bleibt dessen Höhe noch zur Hälfte unterhalb des Mindestunterhalts.[5] Der Unterhaltsvorschuss ist damit für das Haushaltseinkommen von alleinstehenden Elternteilen essenziell und dient zugleich als ein wesentliches Instrument zur Armutsvermeidung bei Alleinerziehenden

Trotz der deutlichen Parallelen zum gesetzlich festgelegten Mindestunterhalt nach § 1612a BGB und trotz der erheblichen Bedeutung dieser Leistung im Alltag von Alleinerziehenden und ihren Kindern bleibt der Unterhaltsvorschuss in seiner ökonomischen Auswirkung auf die Einkommenssituation von Alleinerziehenden spürbar hinter dem Mindestunterhalt zurück. Grund dafür ist die ungleiche Anrechnung des Kindergeldes, das einmal hälftig (Unterhalt), einmal vollumfänglich (Unterhaltsvorschuss) vom Unterhaltsbetrag abgezogen wird. Diese Abweichung hat erhebliche Auswirkungen auf die Einkommenssituation von Alleinerziehenden und ihren Kindern. Sie erscheint zudem willkürlich, da sie sich systematisch nicht begründen lässt. Sowohl aus systematischen Gründen wie auch zur stärkeren Unterstützung Alleinerziehender hält der Familienbund daher eine Veränderung für dringend geboten.

Rein systematisch ist das Kindergeld wirtschaftlich dem Einkommen der Eltern zuzuordnen. Denn es stellt in den allermeisten Fällen mindestens anteilig eine laufende Steuerrückvergütung dar, die sachgemäß den steuerpflichtigen Eltern zuzurechnen ist.[6]  Auch dort, wo das Kindergeld als reine Sozialleistung wirkt, erhöht es zunächst das Einkommen der Eltern. Es ist daher vom Grundsatz her gerade kein Einkommen des Kindes. Das Unterhaltsrecht nimmt jedoch eine Sonderstellung ein, indem es davon abweichend das Kindergeld als Einkommen des Kindes definiert und ihm den Zweck der Existenzsicherung der kindlichen Bedarfe zuweist (§ 1612b BGB). Diese Zuschreibung setzt sich beim Unterhaltsvorschuss fort. In beiden Rechtskreisen wird das Kindergeld entsprechend als zweckgebunden für das Kind zu verwendendes Einkommen auf die staatliche Leistung angerechnet. Beim regulären Unterhalt erfolgt diese Anrechnung hälftig: Das Kindergeld des jeweiligen Kindes wird zunächst fiktiv beiden Eltern zu gleichen Teilen „zugeteilt“. Anschließend wird die dem barunterhaltspflichtigen Elternteil „zustehende“ Hälfte von dem zu leistenden Unterhaltsbetrag abgezogen, da in der Regel der betreuende Elternteil bereits den vollen Kindergeldbetrag ausbezahlt bekommt. In dem Haushalt, in dem das Kind lebt, steht damit der gesamte (Mindest-)Unterhalt für das Kind zur Verfügung, plus das hälftige Kindergeld. Anders dagegen beim Unterhaltsvorschuss. Hier wird das Kindergeld vollständig vom Betrag des Mindestunterhalts abgezogen, wenn auch durchweg als Betrag eines ersten Kindes, so dass den Alleinerziehenden als Zahlbetrag ausschließlich der Mindestunterhalt für das Kind zur Verfügung steht, ganz ohne zusätzliche Kindergeldanteile.

Das hat spürbare Folgen für die Einkommensverhältnisse des Haushalts der Alleinerziehenden, was folgende Beispielrechnung für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern deutlich macht:

 

 

Unterhalt (U)

Unterhaltsvorschuss (UV)

 

Kind 1 (5 Jahre)

Kind 2 (8 Jahre)

Kind 1 (5 Jahre)

Kind 2 (8 Jahre)

Mindestunterhalt

396€

455€

396€

455€

Kindergeld

219€

219€

219€

219€

Abzug Kindergeld halb/voll

109,50€

109,50€

219€

219€

Zahlbetrag

286,50€

345,50€

177€

236€

Summe U/UV + Kindergeld

505,50€

564,50€

396€

455€

 

Angesichts dieser systematisch nicht zu rechtfertigenden Abweichung im Unterhaltsrecht unterstützt der Familienbund den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, das Kindergeld auch beim Unterhaltsvorschuss nur hälftig anzurechnen. Der Familienbund hat diese Forderung bereits bei anderen Gelegenheiten wiederholt vertreten.

Würde diese Maßnahme umgesetzt, hätten Alleinerziehenden-Haushalte im Monat gut 100 € mehr verfügbares Einkommen pro Kind (das jeweils hälftige Kindergeld für erste Kinder). Mit der nur hälftigen Anrechnung des Kindergeldes ließe sich zudem die Fallzahl der Alleinerziehenden verringern, die zusätzlich zum Unterhaltsvorschuss noch Leistungen nach dem SGB II für sich und ihre Kinder beantragen müssen, um ihr Existenzminimum zu sichern. Zusätzlich würde die ausbleibende Notwendigkeit ergänzender SGB II-Leistungen den Zugang zum Unterhaltsvorschuss für all jene Alleinerziehende mit Kindern ab 12 Jahren erleichtern, die diese Leistung gerade nur dann erhalten können, wenn das Kind nicht parallel auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen ist. Vor dem Hintergrund, dass nicht wenige Alleinerziehende ausschließlich aufgrund des ausbleibenden Unterhalts des anderen Elternteils auf den Bezug sogenannter Hartz IV-Leistungen angewiesen sind, ist aus Sicht des Familienbundes die mit einer veränderten Anrechnung des Kindergeldes einhergehende Vermeidung von Sozialleistungsbezügen ein weiteres erstrebenswertes Ziel zur Verbesserung der Gesamtsituation von Alleinerziehenden und ihrer Kinder.

Wie stark viele Alleinerziehende und ihre Kinder, häufig trotz Erwerbstätigkeit, von staatlichen Leistungen der Existenzsicherung abhängen, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Im Jahr 2020 waren gut die Hälfte der Familien im Leistungsbezug von SGB II Alleinerziehende, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur bei etwa 18 Prozent liegt. Zudem stammten rund 45 Prozent der Kinder im (zusätzlichen) SGB II-Bezug aus alleinerziehenden Familien.[7]  

Der Familienbund plädiert daher für eine vollständige Angleichung der Anrechnung des Kindergeldes im Unterhaltsrecht und beim Unterhaltsvorschuss. Er hält die hälftige Anrechnung von Kindergeld beim Unterhaltsvorschuss für dringend notwendig, um die vielfach prekäre ökonomische Situation von Alleinerziehenden breitenwirksam und nachhaltig zu verbessern.

2.2 Alleinerziehende mit höherem Freibetrag entlasten

Alleinerziehende haben zusätzlich zum Grundfreibetrag und zum Kinderfreibetrag Anspruch auf den steuerlichen Entlastungsbetrag. Er soll im Wesentlichen die Mehrbelastungen ausgleichen, die durch eine ganz überwiegend allein zu erbringende Erziehungsleistung bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit entstehen. Dazu gehören etwa finanzielle Aufwendungen für eine umfangreichere Kinderbetreuung oder allein zu tragende größere Anschaffungen für den Familienhaushalt. Aktuell hat der Entlastungsbetrag eine Höhe von 4.008 Euro.[8] Er wurde im Zuge des zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes im Jahr 2020 von damals 1.908 Euro auf diesen Wert mehr als verdoppelt, um zusätzliche Lasten durch die Corona-Pandemie zu berücksichtigen.[9] Für viele Alleinerziehende hat diese Erhöhung zu einer Reduzierung der Steuerlast und damit zu einer verbesserten Einkommenssituation geführt. Allerdings fällt die Entlastung, wie bei jedem Freibetrag, im unteren und mittleren Einkommensbereich geringer aus als bei höheren Einkommen.[10] Grundsätzlich muss zunächst überhaupt ein Einkommen vorliegen, das über der Steuerfreigrenze liegt, was, wie die obigen Zahlen zeigen, trotz Erwerbstätigkeit nur ein Teil der Alleinerziehenden überhaupt erreicht. Rund ein Drittel der Alleinerziehenden (34 Prozent) ist auf (ergänzende) Leistungen nach SGB II angewiesen, bei alleinerziehenden Haushalten mit mehr als zwei Kindern sind es sogar zwei Drittel.[11] 

Die CDU/CSU-Fraktion schlägt nun vor, diesen Betrag zur Entlastung von Alleinerziehenden angesichts der Inflation auf 5.000 Euro zu erhöhen und eine Umwandlung des Freibetrags in einen Abzug von der Steuerschuld zu prüfen.[12] Der Familienbund befürwortet grundsätzlich den Gedanken, Alleinerziehende aufgrund ihrer besonderen Lebensumstände sowie angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen finanziell stärker zu entlasten. Aus diesem Grund hält er die geplante Erhöhung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende gerade angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage für eine gute Möglichkeit der Unterstützung. Er weist allerdings darauf hin, dass der Entlastungsbetrag nur für jene Alleinerziehenden tatsächlich eine Entlastung bringt, die ein entsprechendes steuerpflichtiges Einkommen erzielen. Er befürwortet die Anhebung daher vor allem als eine zusätzliche Maßnahme.

Die Umwandlung des Entlastungsbetrags in eine Steuergutschrift muss nach Auffassung des Familienbundes gut überlegt werden. Ob eine solche Umwandlung befürwortet werden kann, hängt auch von der Höhe der geplanten Steuergutschrift ab. In dieser Hinsicht ist der Antrag nicht ganz klar. Einerseits könnte er so gelesen werden, dass der Abzug von der Steuerschuld ebenfalls in Höhe von 5.000 Euro erfolgen soll. Andererseits könnte auch intendiert sein, dass bei einer Umwandlung des Steuerfreibetrags in einen Abzug von der Steuerschuld eine Reduzierung des Betrags erfolgen muss, wenn der Systemwechsel nicht zu einer weiteren (deutlichen) Erhöhung der möglichen Steuerersparnis führen soll.

Die Umwandlung in eine Steuergutschrift hat einige Vorteile, kann aber möglicherweise auch unerwünschte Effekte haben. Einerseits würde die Entlastung im unteren Einkommensbereich größer, da Alleinerziehende in vielen Fällen gar keine Einkommenssteuer mehr abführen müssten.[13] Außerdem würde die Steuergutschrift unabhängig von der Einkommenshöhe für alle in gleicher Höhe gelten, was verteilungs- und gleichheitspolitisch vorteilhaft gegenüber einem Steuerfreibetrag erscheint, bei dem sich abhängig vom jeweiligen Grenzsteuersatz sehr unterschiedliche Steuerersparnisse ergeben. Trotz identischem Abzugsbetrag greift jedoch auch hier eine steuersystematisch bedingte unterschiedliche Entlastungswirkung, da im unteren Einkommensbereich für Alleinerziehende zwar eine Steuerschuld von mehreren hundert Euro jährlich entfällt, diese Entlastung bei steigendem Einkommen der Alleinerziehenden jedoch deutlich größer ausfällt, bis hin zum Nennwert des jeweiligen Abzugsbetrags. Bei einer Steuergutschrift, die über der maximalen derzeitigen Entlastungswirkung liegt, würde sich die Spreizung der Entlastungen vergrößern, so dass nicht in jeder Hinsicht mehr Gleichheit erreicht würde. Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwieweit bei einer hohen Gutschrift die im Antrag benannte prekäre ökonomische Situation für Alleinerziehende noch im Vordergrund steht. Wie bei dem Entlastungsbetrag als Freibetrag muss zudem bedacht werden, dass auch eine Steuergutschrift viele Alleinerziehende nicht erreicht, da sich ein großer Teil von ihnen im SGB II-Bezug oder in prekären Einkommensverhältnissen befindet und kein steuerpflichtiges Einkommen erzielt.[14] Nach Ansicht des Familienbundes sollte bei einer Steuergutschrift (und ebenso bei einer Erhöhung des Entlastungsbetrages) genau geprüft werden, ab welchem Betrag weitere Erhöhungen nur noch eine sehr kleine Anzahl von Alleinerziehenden erreichen. Erhöhungen über diesen Punkt hinaus wären weder effektiv noch im Sinne des sozialen Anliegens zielgenau, so dass andere Maßnahmen vorzugswürdig wären.

Der Familienbund weist ergänzend darauf hin, dass die Familienpolitik trotz der hohen Belastung von Alleinerziehenden auch die Entlastung anderer Familienformen im Blick behalten und sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen vermeiden muss. Eine Entlastung von Alleinerziehenden durch die Umwidmung zur Steuergutschrift darf – auch aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 6 Abs. 1 GG) – nicht zu einer Benachteiligung von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften führen.  Genau dies könnte jedoch bei einer hohen Gutschrift der Fall sein, wie ein Blick auf die Steuertabelle zeigt. Bei einer Erhöhung des Entlastungsbetrags auf 5.000 Euro und dessen kompletter Umwandlung in einen Abzug von der Steuerschuld müssten laut der geplanten Neuregelung Alleinerziehende mit einem zu versteuernden Einkommen von 25.000 Euro keine Einkommenssteuer mehr zahlen, ein verheiratetes Paar mit demselben Einkommen müsste dagegen etwa 800 Euro an Einkommenssteuern an den Fiskus abführen.

2.3 Kinderbonus und Erleichterungen beim Wohngeld für alle Familien

Als zusätzliche Förderung zum Ausgleich besonderer Härten schlägt die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Antrag vor, einen kurzfristigen Kinderbonus in Höhe von 150 Euro einzuführen sowie den Freibetrag beim Wohngeld für Alleinerziehende von derzeit 1.320 Euro um 20 Prozent (1.584 Euro) jährlich zu erhöhen.

Bei dem Kinderbonus bleibt unklar, ob er ausschließlich für Alleinerziehende gedacht ist oder an alle Familien ausgezahlt werden soll. Folgt man den Begründungen zur Einführung der vorangegangenen Kinderboni in den Jahren 2020 und 2022, so liegt das primäre Ziel einer solchen Leistung in der Stärkung der Kaufkraft von Familien in Krisenzeiten. Die wirtschaftlichen Pandemiefolgen und die anhaltende Inflation treffen, ebenso wie gestiegene Mieten, jedoch alle Familien. Als relativierender Faktor wirkt hier die individuelle Einkommenssituation, nicht aber die grundsätzliche Familienkonstellation. Soll der Kinderbonus ausschließlich an Alleinerziehende ausgezahlt werden, gingen andere Familienformen leer aus, obwohl sie sich in ähnlich prekären wirtschaftlichen Lebenslagen befinden. Ein solcher Vorschlag erscheint dem Familienbund daher weder zielführend noch gut begründbar. Er plädiert stattdessen dafür, die vorgeschlagene Kinderbonuszahlung auf alle Familien auszuweiten. Grundsätzlich weist er darauf hin, dass Einmalzahlungen nur zur Überbrückung akuter Notlagen eingesetzt werden sollten, jedoch eine systematische Förderung und gerechte Besteuerung (mit hinreichend hohen Steuerfreibeträgen) von Familien keinesfalls ersetzen dürfen.

Zu den geplanten Veränderungen beim Wohngeld ist festzuhalten, dass aufgrund der häufig schwierigen Einkommensverhältnisse die steigenden Mieten Alleinerziehende besonders hart treffen. Zusätzlich ist zu bedenken, dass sich ein erhöhter Unterhaltsvorschuss durch die nur noch hälftige Anrechnung des Kindergeldes auch auf die Höhe des Wohngeldes auswirken wird, da er dort als Einkommen zu berücksichtigen ist. Insofern wäre es folgerichtig, den Freibetrag für Alleinerziehende beim Wohngeld anzuheben. Allerdings stellen Inflation und wirtschaftliche Pandemiefolgen zusammen mit den hohen Wohnkosten auch für andere Familienkonstellationen in niedrigen Einkommensbereichen ein Armutsrisiko dar, das von der Politik nicht ignoriert werden sollte. Zwar müssen Alleinerziehende die gesamten Wohn- und Haushaltskosten in der Regel allein tragen, was zweifellos eine besondere Belastung darstellt, aber auch in Paarfamilien können vergleichbare Bedingungen vorliegen, etwa durch Arbeitslosigkeit oder die Betreuung bzw. Pflege von Angehörigen oder Kindern.  Eine ausschließliche Ausweitung des Freibetrags für Alleinerziehende erscheint aus dieser Perspektive daher zu kurz gegriffen. Stattdessen sollte zusätzlich überlegt werden, die Wohngeldhöhe für alle Haushalte anzuheben, wovon Alleinerziehende erneut profitieren würden.[15]

3. Unterstützung von Alleinerziehenden im Rahmen eines allgemeinen Ausbaus der Familienförderung und durch eine realistische Neuberechnung des Kinderexistenzminimums

Der Familienbund befürwortet, Alleinerziehende insbesondere auch im Rahmen einer allgemeinen Reform der Familienförderung zu unterstützen, die einerseits alle Familien im Blick hat und andererseits einen besonderen Schwerpunkt auf den unteren und mittleren Einkommensbereich legt, in dem auch die Einkommen der meisten Alleinerziehenden liegen.

Der Familienbund hat ein eigenes Modell zur Kindergeldreform vorgelegt , das armutsgefährdete Familien stärker unterstützt und das bisherige Kindergeldmodell konsequent entflechtet: Die steuerliche Freistellung des Kinderexistenzminimums wird unabhängig vom Kindergeld über einen monatlich zu berücksichtigenden Steuerfreibetrag gewährleistet, während das zusätzlich gezahlte Kindergeld nur noch der Familienförderung dienen soll.[16] Es unterstützt diejenigen Familien besonderes stark, die durch die steuerlichen Freibeträge nicht entlastet werden: mit einem Betrag in Höhe der Summe von Kindergeld und Kinderzuschlag (jeweils aktuelle Werte). Mit steigendem Einkommen und stärkerer Entlastung durch die Steuerfreibeträge wird das Kindergeld moderat reduziert. Das Kindergeld soll nicht vollständig auf die Grundsicherung angerechnet werden, um die Erziehungsleistung aller Familien zu berücksichtigen. Das Kindergeld des Familienbundes ist somit sozial gerecht und sorgt für Klarheit, in welcher Höhe Familien eine echte Förderung bekommen.

Im Hinblick auf die derzeitige Inflation und die große Anzahl von Alleinerziehenden im Grundsicherungsbezug ist es zudem dringend geboten, die Existenzminima im Sozialrecht unverzüglich neu und realistisch zu berechnen. Die Ermittlung der Regelbedarfe für Grundsicherungsleistungen muss einheitlich, transparent, methodisch konsistent, sach- und realitätsgerecht erfolgen und umgesetzt werden. Die Praxis nachträglicher Abschläge und die Einbeziehung ebenfalls armutsgefährdeter Haushalte in die Bedarfsermittlung konterkarieren das gewählte Statistikmodell und müssen beendet werden. Zugleich ist zu prüfen, ob die Regelbedarfe tatsächlich noch alle relevanten Lebenshaltungskosten beinhalten, immerhin hat sich seit ihrer Einführung im Jahr 2005 einiges verändert. Als Beispiel seien hier digitale Zugänge und Geräte genannt. Eine Anpassung der Regelbedarfe würde mittelbar auch zu einer Anhebung des steuerrechtlichen Existenzminimums und der Kinderfreibeträge führen, so dass auch hier Alleinerziehende im Rahmen einer allgemeinen Entlastung von Familien profitieren würden.

4. Schlussbemerkung

Der Familienbund unterstützt die gezielte Entlastung von Alleinerziehenden aufgrund ihrer besonders herausfordernden Lebenslagen. Die Vorschläge des Antrags der CDU/CSU-Fraktion sind mehrheitlich begrüßenswert, da sie die Belastungen von Alleinerziehenden tatsächlich und teils erheblich reduzieren können. Besonders hervorzuheben ist aus systematischen und ökonomischen Überlegungen die Umsetzung der hälftigen Anrechnung des Kindergeldes beim Unterhaltsvorschuss.

Gleichzeitig gibt der Familienbund zu bedenken, dass Entlastungsmaßnahmen für Alleinerziehende nicht dazu führen dürfen, dass Paarfamilien in vergleichbaren Lebenslagen übersehen oder sogar benachteiligt werden. Daher sollte bei allen Maßnahmen darauf geachtet werden, dass es dabei weniger um die Unterstützung einer bestimmten Familienform geht als vielmehr um die Entlastung aufgrund erheblicher ökonomischer Problemlagen. Diese finden sich in der aktuellen Krise auch bei anderen Familienkonstellationen. Die Unterstützung von Alleinerziehenden im Rahmen eines allgemeinen Ausbaus der Familienförderung wäre zu begrüßen.

Generell weist der Familienbund daraufhin, dass kurzfristige, einmalige Aktionen für bestimmte Gruppen höchstens als Übergangslösungen dienen können. Das Ziel muss eine systematische, schlüssige und langfristig orientierte Familienpolitik bleiben.

 

Berlin, 13. Juni 2022

Kontakt: Matthias Dantlgraber, Ivonne Famula

Stellungnahme als pdf zum Download

[1] Schätzung des Statistischen Bundesamts, Pressemitteilung vom 30.05.2022.

[2] Tagesschau 31.05.2022 Teuerung in Deutschland: Inflation steigt auf 7,9 Prozent | tagesschau.de (Stand 02.06.2022).

[3] Ebd.

[4] DJI-Studie Alleinerziehend – alleinbezahlend? Kindesunterhalt, Unterhaltsvorschuss und Gründe für den Unterhaltsausfall. 2016.

[5] Vgl. Hartmann, Bastian: Unterhaltsanspruche und deren Wirklichkeit. Wie groß ist das Problem nicht gezahlten Kindesunterhalts? DIW/SOEP papers 660 / 2014. Auch DJI-Studie Alleinerziehend – alleinbezahlend? Kindesunterhalt, Unterhaltsvorschuss und Gründe für den Unterhaltsausfall. 2016.

[6] Da die rechtlich notwendige Freistellung der existenznotwendigen Unterhaltsbedarfe von Kindern jeweils erst mit der Günstigerprüfung bei der jährlichen Steuerveranlagung erfolgt, ist das Kindergeld mehrheitlich eine pauschale Erstattung unterjährig zu viel gezahlter Steuern auf eben dieses steuerfrei zu stellende Existenzminimum.

[7] Bertelsmann-Studie Armutsrisiko alleinerziehend – wieso, weshalb, warum? 2021.

[8] Ab dem zweiten Kind erhöht sich der Betrag zusätzlich um 240 Euro pro weiterem Kind.

[9] Bei seiner Einführung im Jahr 2004 betrug der Entlastungsbetrag 1.308 Euro, er blieb bis zur Anhebung 2015 auf 1.908 Euro unverändert. Er war de facto eine Antwort auf den doppelten Grundfreibetrag, den verheiratete Paare geltend machen können.

[10] Bundesministerium der Finanzen. FAQ zum Kinderbonus 2020 und zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/FAQ/2020-07-29-FAQ-Kinderbonus-Entlastungsbetrag.html

[11] Bertelsmann-Studie Armutsrisiko alleinerziehend – wieso, weshalb, warum? 2021.

[12] Auch die Regierungskoalition plant laut Koalitionsvertrag die Einführung einer Steuergutschrift für Alleinerziehende.

[13] Bei einer Steuergutschrift in Höhe von 5.000 Euro würden nach unseren Berechnungen Alleinerziehende bis zu einem Bruttojahresgehalt von um die 40.000 Euro vollständig von der Einkommenssteuer befreit.

[14] Nach Daten von 2019 waren 42,7 Prozent der Alleinerziehenden von Einkommensarmut betroffen, gut 33 Prozent der Alleinerziehendenfamilien bezogen Leistungen nach dem SGB II. Siehe: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Factsheet Alleinerziehende in Deutschland. S.6. 2021.

[15] Zum einen durch die zusätzliche finanzielle Entlastung, zum anderen kann mithilfe des Wohngeldes durch das dann erhöhte Einkommen auch der Bezug von SGB II-Leistungen verhindert werden.

[16] Derzeit hat das Kindergeld eine Doppelfunktion. Es dient gem. § 31 S. 1 f. EStG in erster Linie der steuerlichen Freistellung des Kinderexistenzminimums und nur insoweit, als es betragsmäßig darüber hinausgeht, der Familienförderung. Faktisch erhalten daher viele Familien keine Familienförderung, sondern nur das, was ihnen im Rahmen einer verfassungskonformen Besteuerung nach Leistungsfähigkeit zusteht.