Stellungnahme zu Kinderzukunftsprogramm starten und mit zehn Maßnahmen zum Erfolg führen

· Stellungnahmen · Erziehung, Bildung und Betreuung

Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 18. März 2024

 

I.Einleitende Bemerkungen

Der Familienbund der Katholiken bewertet es als sehr positiv, dass der vorliegende Antrag die wichtigen Themen der Bildung und Bildungsgerechtigkeit ins Zentrum der familienpolitischen Diskussion rückt. Die bestmögliche Bildung von Kindern und Jugendlichen ist eine der großen Zukunftsherausforderungen unserer Gesellschaft – neben dem Erhalt einer intakten Umwelt und der eng mit der demografischen Entwicklung verknüpften langfristigen Sicherung der Altersvorsorge. Diese Zukunftsherausforderungen haben gemeinsam, dass die Zielsetzungen von einem breiten, überparteilichen Konsens getragen werden (vgl. aktueller Koalitionsvertrag 2021-2025), aber die Maßnahmen zur Zielerreichung weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Es besteht das strukturelle Problem, dass die Politik mit großem zeitlichem Vorlauf tätig werden muss, während sich die Folgen des politischen Handelns oder Unterlassens erst viele Jahre später zeigen. Der systemimmanente Blick der Politik auf die nächste Wahl führt zur „Verherrlichung der Gegenwart und der Vernachlässigung der Zukunft“ (Richard von Weizsäcker). Verantwortliche Politik muss aber die Interessen der kommenden Generationen im Blick haben und ihnen ausreichendes Gewicht einräumen.

Im Bereich der Bildung besteht mit Blick auf die Bildungsstudien der jüngsten Vergangenheit dringender Handlungsbedarf: Nach dem IQB-Bildungstrend 2021verfehlt jedes fünfte Kind in der vierten Klasse die Mindeststandards im Lesen (18,8 %) und in Mathematik (21,8 %).[1] Nach der IGLU-Lesestudie von 2022 erreicht jedes vierte Kind in der vierten Klasse „nicht den Standard für eine Lesekompetenz, die für einen erfolgreichen Übergang vom Lesen-Lernen zum Lesen, um zu lernen, notwendig ist“[2]. Laut der im Dezember 2023 veröffentlichten PISA-Studie (PISA 2022) verfehlt im Lesen jede vierte 15-jährige Person (25 %) die Mindestanforderungen, in Mathematik sogar jede dritte (30 %). Alle Studien zeigen, dass sich die Ergebnisse in den letzten Jahren deutlich verschlechtert haben, und verweisen auf eine Korrelation zwischen den Ergebnissen und dem soziökonomischen Status der Familien, oft in Verbindung mit einem Migrationshintergrund (doppelte Benachteiligung). Die Bildungseinbußen in der Corona-Pandemie haben die Studienergebnisse insgesamt verschlechtert und zugleich die Schere zwischen den leistungsstarken und den leistungsschwachen Kindern vergrößert. Die zu erwartenden Folgen der Bildungsmisere sind gravierend sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Ebene.

Für den Familienbund müssen diese Entwicklungen Anlass sein, das Thema Bildung ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. Sätze wie „100 Milliarden Euro für Bildung“[3] mögen plakativ klingen oder nach dem jüngsten Haushaltsurteil des BVerfG[4]  auch ein wenig aus der Zeit gefallen wirken. Die Dringlichkeit des Problems und der bestehende Reformstau werden darin aber durchaus angemessen erkennbar. Die im Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen sind überwiegend positiv zu bewerten (dazu im Einzelnen unter II.). Wenn der vorliegende Antrag den Umfang des vorgeschlagenen „Kinderzukunftsprogramms“ auf die „zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“ beschränkt, kann dies nur ein erster Schritt sein. Um die bestehenden Probleme zu lösen, sind Zukunftsinvestitionen und eine langfristige Stärkung der Bildungspolitik auf allen politischen Ebenen erforderlich.

Freilich ist eine erfolgreiche Bildungspolitik nicht nur eine Frage des Geldes. Im internationalen Vergleich sind die deutschen Ausgaben von beispielsweise durchschnittlich rund 10.000 Euro pro Jahr und Schüler:in nicht wenig.[5] Daraus ließe sich mehr machen. Erforderlich ist, dass Bildung priorisiert und der Föderalismus zukunftsfähig und effizient aufgestellt wird. Aus Sicht des Familienbundes muss mit Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip sowohl eine stärkere Rahmensetzung und Qualitätssicherung auf Bundesebene erfolgen als auch einzelnen Bildungsinstitutionen mehr Freiheiten eingeräumt werden, um die vor Ort bestehenden Probleme zielgenau anzugehen. Da Bildungspolitik derzeit überwiegend Ländersache ist, während der Bund Möglichkeiten der Unterstützung und finanziellen Förderung hat, weist der Antrag zu Recht darauf hin, dass eine „gute Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen“ erforderlich ist.

Im Antrag steht primär die Bildung und Förderung jüngerer Kinder im Fokus. Dies ist mit Blick auf eine möglichst früh ansetzende Armutsprävention und die Länderkompetenz für Bildung nachvollziehbar. Für einen umfassenden Ansatz müssen jedoch auch die Zukunftschancen von Jugendlichen – mit entsprechenden Unterstützungssystemen und mehr Bildungsgerechtigkeit auch für diese Altersgruppe – gewährleistet sein. Wenn Bund, Länder und Kommunen sich zu den Bildungsfragen abstimmen, sollte das im Blick sein.

Eine Stelle des Antrags lässt sich so lesen, dass Bildungs- und Infrastrukturleistungen generell vorzugswürdig gegenüber Transferleistungen seien.[6] An der richtigen Stelle eingesetzt können Geldleistungen jedoch sehr effizient und wichtig für Familien sein. Der Kinderzuschlag unterstützt z.B. gezielt Familien, die für wenig Geld arbeiten gehen. Dass der Antrag die Bedeutung von zielgenauen Geldleistungen durchaus sieht, zeigt die vorgeschlagene Maßnahme Nr. 9, die eine fortlaufende Anpassung des Kindergeldes und eine Reform des Kinderzuschlags vorsieht („Kinderzukunftsgeld“). Für den Familienbund sind Geldleistungen für Familien ein zentraler Baustein guter Familienpolitik. Sie müssen als komplementär und dürfen keinesfalls als alternativ zu Infrastrukturinvestitionen gesehen werden.

Richtig ist die im Antrag erkennbare Konzentration auf benachteiligte Kinder – also auf diejenigen, bei denen die oben genannten Studien besonderen Unterstützungs- und Förderbedarf festgestellt haben. Denn der Bildungserfolg der Kinder darf weder von sozio-ökonomischen Status noch von der Herkunft der Familie abhängen. Die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem und in der Gesellschaft muss verbessert werden und zukünftig gewährleistet sein. Bildung ist zudem ein wichtiges Mittel der Armutsprävention. Ein richtiger aktueller Ansatz der Bundesregierung zur Unterstützung von Kinder mit besonderen Herausforderungen ist das Startchancen-Programm.[7] Das alleine reicht aber nicht für das im Koalitionsvertrag ausgerufene „Jahrzehnt der Bildungschancen“[8]. Hierfür sind weitere Maßnahmen erforderlich.